ARBEITSKREIS PATRISTIK

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Bericht über die  Jahrestagung des Arbeitskreises Patristik vom 23.-25.3.2023 an der Universität Tübingen

„Re:Lecture – Vom Umgang mit Texten in der Alten Kirche“

Organisation: Stefan Metz / David-Burkhart Janssen

Nimm und liesDie Coronapandemie hat auch den Arbeitskreis Patristik hart getroffen, 2020 fiel die Tagung ganz aus, 2021 fand sie organisiert durch Eichstätter Patristiker digital statt, 2022 fiel sie wieder – auch aus persönlichen Gründen – aus, so dass die AK Patristik-Tagung 2023 mit dem bereits für 2022 überlegten Thema „Re:Lecture: Vom Umgang mit Texten in der Alten Kirche“ nach Tübingen kam. Der AK Patristik ist interkonfessionell und interdisziplinär, was die Tagung in Tübingen auf besondere Weise zum Ausdruck brachte, da sie interkonfessionell vorbereitet wurde, von DAVID BURKHART JANSSEN (evangelisch-theologische Fakultät, Alte Kirchengeschichte) und STEFAN METZ (katholisch-theologische Fakultät, Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archäologie). Die Tagung fand dabei am 23.-25. März 2023 in den Räumlichkeiten der beiden theologischen Fakultäten in Tübingen statt, die Tagung wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern großzügig gefördert.

Das Thema „Re:Lecture“ lud dazu ein, frei nach dem augustinischen Diktum Tolle lege sowohl antike, frühchristliche Texte auf ihre Traditionen und ihre Rezeption zu untersuchen als auch den eigenen Umgang mit Texten zu reflektieren. Dazu reisten etwa 20 Teilnehmer an, beim Abendvortrag, bei dem eine digitale Teilnahme möglich war, waren es sogar um die 30.

Dieser Abendvortrag von PETER V. MÖLLENDORFF (Klassische Philologie/ Gräzistik, Gießen) zum Thema „Auf den Leib geschrieben: Schreiben und Lesen des Epideiktikers in der Kaiserzeit“ konzentrierte sich darauf, dass die Rhetoren („zweite Sophistik“) und Philosophen in der Kaiserzeit nicht nur durch ihre Reden, sondern auch durch ihre Körper ihre Einmaligkeit und Besonderheit darstellen wollten. Dabei stellte v. Möllendorff an mannigfaltigen Beispielen (z.B. Favorinos und Polemon aus den Sophistenviten, Aelius Aristeides und Lukian) anschaulich dar, wie der Körper und dessen Besonderheiten (Krankheit, Geschlechterrollen, Eunuchen-Sein bis hin zu inszenierte Selbstmorde) geradezu als Text gelesen wurde. In der anschließenden Diskussion wurden auch Verknüpfungen mit christlichen Rhetoren und Philosophen der Kaiserzeit weiterverfolgt. Generell hob v. Möllendorff hervor, dass Texte von Personen mit Leib und Körper geschrieben und vorgetragen wurden.

An den nächsten zwei Tagen (24. und 25. März) fanden 13 Vorträge zum Thema Re:Lecture statt. Die erste Sektion beschäftigte sich mit dem „Neu-Lesen von paganen Bildungstexten“: CHARLOTTE KIRSCH-KLINGELHÖFFER (Heidelberg, ev. Theologie, Alte Kirchengeschichte) stellte anhand von Clemens und Irenaeus vor, wie die in der Kaiserzeit typischen philosophischen Doxographien in der christlichen Theologie eingesetzt wurden, um diskursfähig zu sein. Darauf referierte JOHANNES RENSINGHOFF (Heidelberg, ev. Theologie, Alte Kirchengeschichte) zur Platon-Rezeption des Origenes, wobei er Origenes’ Interpretation von Nomoi 716a in Contra Celsum ins Zentrum stellte. Dabei habe Origenes die christliche Demut mit platonischen Kriterien gegen Kelsos verteidigen wollen. Den dritten Vortrag hielt MATTHIAS SIMPERL (Augsburg, Alte Kirchengeschichte) zu Gregor von Nazianz’ Oratio 4, mit der Gregor auf Julian Apostatas Niederlage und Tod reagierte. Dabei stellte Matthias Simperl heraus, dass Gregor mit dieser Rede ein literarisches Siegesfest über Julian und das Heidentum im Wettstreit um Bildung zelebrierte.

In der nächsten Sektion lag der Schwerpunkt auf der Exegese und dem Neulesen der Bibel. PHILIPP BUCKL (Wuppertal, Klassische Philologie) zeigte, wie der Cento Probae nicht nur die Sturmstillung und den Seewandel Jesu mit vergilischen Versen darstellte, sondern dabei auch Juvencus’ Evangelienepos rezipierte. Ein anderes Neulesen der Heiligen Schrift präsentierte FLORIAN RÖSCH (Münster, Koptologie) am Beispiel von pseudo-kyrillischen Homilien zu Joh 20-21 (Clavis copt. 0115), in denen der „ungläubige Thomas“ positiv als Zeuge der Mia Physis-Lehre umgedeutet oder wie die Jungfrau Maria, Jesu Mutter, anstelle von Maria Magdalena zur ersten Zeugin der Auferstehung wurde. Zuletzt zeigte DARIA OTTO (Wien, Historische Theologie), wie Ambrosius in seinen exegetischen Werken eigenständig aus der Septuaginta übersetzte und dabei in entscheidenden Begriffen von der Vetus Latina abwich.

Die dritte Sektion beschäftigte sich ebenfalls mit dem Neulesen, nun jedoch mit Fokus auf „Feinde“ und Häretiker: BETTINA REESE (Halle, Klassische Altertumswissenschaften) untersuchte, wie Porphyrius zum Zeugen der Apologeten insbesondere gegen die Praxis des Schlachtopfers wurde. Mit besonderem Blick auf Eusebs Praeparatio evangelica zeigte sie, wie Porphyrius einerseits zum größten Feind der Christen stilisiert wurde, um ihn andererseits als Zeugen gegen die Angemessenheit von Opfern zu zitieren. MARIE-CHRISTIN BARLEBEN (Berlin, ev. Theologie, Antikes Christentum) untersuchte den „negativen Transfer“ anhand von Irenaeus und der Gnosis. Dabei verglich sie die 1. Jakobus-Apokalypse (koptisch; NHC, V,3) mit Irenaeus, Adversus haereses 1,21,5 und stellte heraus, wie Irenaeus den ursprünglichen Text hinter der 1. Jakobus-Apokalypse für seine Zwecke zitierte.

Darauf folgte die vierte Sektion zum Thema der Praxis von Lesen und Schreiben. Dazu stellte SEBASTIAN WOLTER (Kölner Hochschule für katholische Theologie, Philosophie) Augustins inkarnatorisches Lesen in In Ioannis euangelium tractatus vor. Die inkarnatorische Hermeneutik Augustins zeigte Wolter anhand des semiotischen Dreiecks von signum – uerbum – res und mit Verweis auf Judentum – Christentum – Religion der Engel. ANDREAS HENN (Freiburg i.B., kath. Theologie, Alte Kirchengeschichte) präsentierte, wie die Buddha-Legende über verschiedene Stufen nach Westen „wanderte“ und zur Barlaam und Josaphat-Legende wurde. Der letzte Vortrag von DAVID BURKHART JANSSEN (Tübingen, ev. Theologie, Alte Kirchengeschichte) widmete den altspanischen Eucharistiegebeten (zu Palmarum und Gründonnerstag). Dabei argumentierte David Burkhart Janssen, dass in den altspanischen Eucharistieliturgie wie im Symbolum Quicumque und in den toletanischen Konzilien eine verdichtete augustinische Theologie, z.T. implizit, z.T. explizit, zu finden ist.

Die letzte Sektion fokussierte sich auf kulturwissenschaftliche Zugänge zu Texten der Alten Kirche. LUISA SPROTEN (Wuppertal, Klassische Philologie) zeigte dem „spatial turn“ folgend, welche Rolle Orte in Cyprians Ad Donatum spielen. Dazu bot sie einen Ausblick auf die Frage, wie sich der Blick auf christliche und heidnische Orte in der Antike veränderte. Zuletzt stellte STEFAN METZ (Tübingen, kath. Theologie, Alte Kirchengeschichte) v.a. mit Blick auf Minucius Felix, Octavius 8,3-4, das Phänomen des „Otherring“ vor, indem er zeigte, wie anhand der Zuschreibung des Schmutzes eine soziologische Gruppe (Christen, Häretiker, Heiden) abgewertet werden soll, um damit eine gefährdete gesellschaftliche Ordnung zu stabilisieren.

Nicht nur waren die Vorträge der Tagung äußerst vielfältig, sondern regten zu langen Diskussionen und Gesprächen an. Auch während der Mittags- und Kaffeepausen sowie des Dinners wurde angeregt über die laufenden sowie zukünftigen Projekte diskutiert. Insofern bestand Einigkeit in der Vorfreude auf die nächste AK Patristik, die am 14.-16 März 2024 in Augsburg stattfinden wird. Dies ist mit der Hoffnung verbunden, dass mindestens genauso viele Nachwuchskräfte wie in Tübingen nach Augsburg kommen werden.

 
Bericht im PDF-Format

Veröffentlicht: 23.05.2023 Kontakt zum Veranstalterteam 2023 Letzte Änderung: 23.05.2023


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