Der
Arbeitskreis Patristik dient als offenes Forum für Forschende, deren
Arbeit Bezug zum Gebiet der Patristik hat. Die seit 2001 regelmäßig von
wechselnden Universitäten ausgerichtete Jahrestagung des Arbeitskreises
bietet insbesondere Nachwuchswissenschaftlerinnen und
Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit zum interdisziplinären
Austausch verschiedener Fachrichtungen, u.a. der Theologie, der
Philosophie, der Kirchengeschichte und der Klassischen Philologie.
Diese Tagung fand vom 23.-25. März 2018 erstmals an der Bergischen
Universität Wuppertal durch die Organisation der Klassischen Philologie
statt. Die Planung und Durchführung der Tagung lag bei Martin Schmidt mit Unterstützung durch Prof. Dr. Stefan
Freund.19
angemeldete Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie auch mehrere
interessierte Gäste aus Deutschland, Italien und der Schweiz fanden
sich in Wuppertal ein, um unter dem Rahmenthema „Lernen und Lehren im
antiken Christentum“ Vorträge sowie Workshops zu halten und zu
diskutieren.
Am
Freitagabend begrüßte Prof. Dr. Stefan Freund die Gäste mit seinem
Eröffnungsvortrag zum „Lernen und Lehren im vorkonstantinischen
Christentum des Westens“, auf dessen Überblicksdarstellung in den
Vorträgen des Folgetages noch öfter zurückgegriffen wurde. Besonders
stellte er heraus, wie im institutionalisierten Bildungssystem der
antiken paganen Gesellschaft das Lernen und Lehren von festen
Berufsgruppen zum Erreichen bestimmter Kompetenzen geleitet wurde,
während im christlichen Kontext verschiedene Personengruppen die
Lehrtätigkeit oft vor allem auf die Verkündigung Gottes ausrichteten.
Samstag,
24.03.2018
Der
Tagungssamstag wurde von 8 Referentinnen und Referenten mit Vorträgen
gestaltet.
Vera
Dürrschnabel (Bern, Judaistik) hielt zur alten Tradition des „Lernen
und Lehren im rabbinischen Judentum“ ihren Vortrag, der durch 500 Jahre
jüdischer Bildungsgeschichte der Antike und Spätantike führte: Das
Verständnis vom Lernen zeigt sich als Streben danach, den Wissenserwerb
zu vervollständigen und das Sachverständnis der eigenen Lehrer noch zu
übertreffen. Auch Gemeinsamkeiten des rabbinischen Lehrverständnisses
mit der griechisch-römischen Welt und dem antiken Christentum wurden
herausgestellt. Das frühe Unterrichten des Kindes, wobei für Mädchen
eine weniger vertiefte Bildung angestrebt wird, findet seine Parallelen
außerhalb des Judentums. Je nach Zeit und Umständen werden Kinder
entweder in den Familien unterrichtet. Wenn jedoch der Vater fehlt,
muss ein durch Rabbiner institutionalisiertes Schulsystem die Lücke
füllen.
Christian
Jänig (Wuppertal, Evangelische Theologie) zeichnete mit dem Vortrag zum
„Lehren und Lernen bei Paulus“ den Übergang von jüdischer Gelehrsamkeit
zum Lehrverständnis in der frühen Christengemeinde am Beispiel des
Apostels Paulus. Dessen Lehrmethoden umfassen in den neutestamentlichen
Quellen die Unterweisung durch Briefe, Reden oder Predigten, das
Begleiten von Menschen als Mentor und das Vorleben von Vorbildern.
Katharina
Reihl (Mainz, Katholische Theologie) stellte mit „Thekla – von der
Lehrerin zum lehrhaften Vorbild“ eine in antiker Literatur und Kunst
viel rezipierte Heilige vor. Die Paulusschülerin tritt nicht bloß als
Lehrerin auf, sondern auch als Apostolin, die das Evangelium verkünden
soll. Ihre Belehrung von Frauen, gebildeten Männern und Philosophen
erreicht sie durch Martyriumsbereitschaft (obwohl sie nicht den
Märtyrertod stirbt), das Leben als jungfräuliches Vorbild und durch
Unterweisung im christlichen Glauben. Ihre Wahrnehmung und somit ihre
Art des Lehrens teilte sich schon bald: Der griechische Osten
rezipierte sie (abhängig von den über sie schreibenden Autoren) häufig
als Schülerin und Lehrende, während sie im lateinischen Westen als
Inbegriff von Jungfräulichkeit, Keuschheit und Askese verehrt wurde.
Martin
Schmidt (Wuppertal, Klassische Philologie) stellte die Gedanken des
christlichen Rhetors Laktanz „Über das Literatur- und Rhetorikstudium
in Laktanz Werken“ vor: Gute Redekenntnisse und sprachliche Gewandtheit
seien hilfreich, um eine pagane Oberschicht zum christlichen Glauben zu
führen, die ihrerseits das Lernen und Lehren in Form sprachlich
anspruchsvoll gestalteter Literatur gewohnt sei. Wenn auch laut Laktanz
die selbstevidente göttliche Wahrheit ohne Vorbildung zu erfassen sei,
so spiele doch Sprachverständnis und Redekunst generell eine wichtige
Rolle beim Lernen und Lehren komplexerer Themen, die durch guten
Ausdruck zugänglich gemacht werden.
In seinem
Vortrag „Der christliche Dichter im weltlichen Bildungsapparat der
Spätantike. Zur Praefatio von Prudenzens Gesamtwerk“ analysierte Thomas
Gärtner (Köln, Klassische Philologie) die dichterisch parallel
dargestellte, transzendierende Beziehung von Prudenzens säkularen und
gottesfürchtigen Lebensphasen. So wie der äußere Druck seines
Schulmeisters und die Tätigkeit als Advokat ihn in eine hohe
Verwaltungsposition im Umfeld des Kaisers geführt habe, so habe, nach
Prudenzens Darstellung, das vorangeschrittene Leben ihn zum Innehalten
und Dienst an Gott gedrängt, wodurch er dem ewigen Leben entgegengehe.
Seine christliche Dichtung rechtfertigt er durch die Arbeit am eigenen
Seelenheil, also als eigenen Lernerfolg, wie auch mit der belehrenden
Wirkung für den Rezipienten.
Marie
Revellio (Konstanz, Latinistik) zeigte in ihrem Vortrag „Die
»heidnische« Literatur im Lehr- und Lernverständnis des Hieronymus, mit
einem Seitenblick auf Genderaspekte“, wie Hieronymus seine
Unterrichtsvorstellungen eng an den Lehren des Rhetorikdozenten
Quintilian orientiert. Trotz ostentativer Abkehr von heidnischen
Autoren gibt es in seinen Werken eine hohe Dichte heidnischer
Literaturzitate. Auch seine an Frauen gerichteten Briefe werden um
solche bereichert. Dies und die Vorschläge zur literarischen Bildung
von Mädchen schafft für sie die Möglichkeit, nicht allein auf das
Lebensmodell der Eheschließung zuzusteuern, sondern als virgo Dei dem Herrn
zu dienen und sich mit christlicher wie auch paganer Literatur zu
beschäftigen. So entwirft Hieronymus einen genderspezifschen
Handlungsfreiraum.
Mit dem
Vortrag „Quaeso te, ut
percunctanti mihi respondeas et, quae obscuritatem faciunt, elucidare
digneris. Die Erotapokriseis als Lehrgattung auf der
iberischen Halbinsel“ präsentierte Stefan Pabst (Bochum, Katholische
Theologie) eine literarische Gattung, die durch den Aufbau aus Fragen
und Antworten die Masse theologischen Wissens und Disputs in der
Spätantike zu ordnen suchte. Als Grundlage der Fragen und zu deren
Beantwortungen wurden die bedeutenden christlichen Autoren
herangezogen, was einen Richtungswechsel im christlichen Unterrichten
hin zur stärkeren Autorität der Kirchenväter markiert. Julian von
Toledo (7. Jh.) ist ein prominentes Beispiel für die Praxis des
wörtlichen Zitierens vorangegangener Autoritäten, was nicht zuletzt
solchen Lesern Zugang zu Textstellen der Kirchenväter verschaffen soll,
die wegen fehlender Bibliotheken keinen Zugriff auf deren Werke hätten.
Die
Vortragsreihe wurde abgeschlossen mit einem Beitrag zu den
Vorstellungen von Belehrung und Disziplinierung hinsichtlich des
Alltagslebens in den Predigten des Caesarius von Arles: „Si christiani ad ecclesiam
veniunt, pagani de ecclesia revertuntur. Anweisungen zum
richtigen Christsein im spätantiken Gallien“. Beispielsweise die
Trunkenheit kommt in dessen Predigten als weit verbreitete Sünde vor,
aus der meist weitere Sünden folgten. Katharina Pultar (Mainz,
Katholische Theologie) zeigte, wie er gegen die Ausübung solcher Laster
– seien sie nun zeitgenössische Realität oder nur ein mentales Modell –
durch den Appell an das Verständnis von Tugend, Zivilisation und
Männlichkeit der Betroffenen angeht: Solch lasterhaftes Benehmen mache
sie mit niederen Schichten und Heiden gemein. Der soziale Druck durch
männliche Rollenbilder ist ein wichtiger Teil seiner
Belehrungsstrategie.
Im
Verlaufe des Tages boten nicht nur Diskussionsrunden im Anschluss an
Vorträge, sondern auch die Pausen reichlich genutzte Gelegenheit zu
Gesprächen, Austausch, Vorstellungen aktueller Projekte und weiteren
Anregungen zur Durchführung laufender Arbeiten.
Zum
ebenfalls gesellschaftlichen Teil der Tagung gehörte die Stadtführung
durch Wuppertal-Elberfeld unter der Leitung von Rüdiger Raschke
(Prädikant in der evangelischen Gemeinde Elberfeld Nord). Die
Entwicklung des Wuppertaler Städtebaus vom Mittelalter bis in die
Neuzeit wurde uns an verschiedenen Stellen vor Augen geführt. Ebenso
war die Industrialisierung und die damit einhergehenden Lösungsansätze
der sozialen Frage durch das ansässige Bürgertum und die Kirchen ein
großes Thema. Ebenfalls wurden wir über die religiöse Vielfalt der
Stadt und die Geschichte der hiesigen jüdischen Gemeinde belehrt.
Der Tag
klang mit einem gemeinsamen Abendessen aus, bei dem erneut die Themen
des Tages rekapituliert und allerlei Weiterführendes besprochen werden
konnten.
Sonntag,
25.03.2018
Der
Sonntag begann mit dem Angebot zur Teilnahme an einem ökumenischen
Gottesdienstes unter der Leitung von Dr. Werner Kleine, dem
Pastoralreferenten der Katholischen Citykirche Wuppertal. In der
Kreuzkapelle der Basilika St. Laurentius in Elberfeld sprach er zum
Gleichnis vom Sämann und dem Sinn der Gleichnisse (Mk 4,1-12) über das
stetig andauernde Lernen als Teil des Lebens.
Nach
einer kurzen Pause hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Wahl
zwischen zwei angebotenen Workshops:
Gina
Derhard (Münster, Klassische Philologie) leitete den Workshop
„doctrinae sal: Hieronymus' (metatextuelle) Reflexion über
Briefformen“. Es wurden Ausschnitte von Metatexten gelesen, die den
Brief als lehrendes Objekt beschreiben. Ebenso wurden die verschiedenen
Funktionen von Modi betrachtet, etwa die Beschreibung eines
nachzuahmenden (oder warnenden) exemplum, als Ergänzung zu exegetischen
Lehrgesprächen oder als Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten. Die
Teilnehmer fanden umfangreiches Textmaterial vor, in dem Hieronymus
Lehrstrategien betrachtet und erklärt.
Florian
Zacher (Erlangen, Evangelische Theologie) behandelte in seinem Workshop
„Eine platonische Anleitung zur Selbsterlösung? Zur Rolle der
Seelenlehre im Rhetorikunterricht bei Marius Victorinus" besonders
Fragen der Übersetzung und Interpretation. Der Fokus lag auf der Frage,
ob die vorgeschlagenen Interpretationen haltbar sind, die in den
Passagen zur Seelenlehre eine platonische Anleitung zur
philosophisch-asketischen Selbsterlösung sehen. Dagegen wurde deutlich,
dass die zentralen Begriffe studium
und disciplina
nicht als Askese
und Kontemplation,
sondern als traditionelle rhetorische termini aufzufassen sind.
Victorinus liefert unter dieser Perspektive einen Beitrag zur Debatte
der antiken Rhetorik, ob der Mensch eher von Natur aus oder durch Übung
und Unterweisung ein guter Redner wird. Es wurde deutlich, dass er
dabei eine Mittelposition vertritt, nach der jeder Mensch die
grundsätzliche natürliche Veranlagung hat, ein guter Redner zu werden,
dazu aber notwendigerweise immer noch persönlicher Einsatz und guter
Unterricht kommen müssen.
Die
Tagung endete mit einem gemeinsamen Mittagessen der verbliebenen
Teilnehmer.
Wir
blicken freudig der kommenden Jahrestagung des Arbeitskreis Patristik
entgegen, die vom 29. bis 31. März 2019 unter dem Thema „Das antike
Christentum und politische Macht“ an der Universität Bonn abgehalten
werden wird. Nähere Informationen hierzu sowie einen Überblick über die
Themen und Orte der letzten Jahrestagungen bietet die Homepage des AK
Patristik (http://www.ak-patristik.de),
wo es auch die Möglichkeit gibt, einer Mailingliste beizutreten.
Martin
Schmidt
Teilnehmerinnen und Teilnehmer
der AK-Patristik-Jahrestagung 2018 in Wuppertal.